Tomáš Pospíšek's Notizblock
Welche Vorstellung haben wir, Westler, vom Iran? Woher kommen diese Vorstellungen? Bevor wir in den Iran kamen, hatte ich wohl die typischen, landläufigen Vorstellungen vom Iran:
- ausnahmslos in schwarz gehüllte Frauen
- griesgrämige alte Männer in Turbanen, welche streng und gnadenlos über Sittenverstösse wachen und deren Ziel die Vergällung jeglicher Freuden ist
- Polizei und Überwachung überall und an allen Ecken
- Moscheenvorplätze mit fanatisch skandierenden Gläubigen, welche darauf brennen sich in einem Terroranschlag dem Jihad opfern zu dürfen
- von Öl verschmutzer und durchtränkter Sand
Warum habe ich oder haben wir diese Vorstellung vom Iran? Es sind die Medien, welche uns dieses Bild vom Iran zeichnen. Und, trotz unserer Bildung, welche uns bewusst macht, dass es nur ein selektives, vielleicht einseitiges Bild ist, welches wir von den Medien vermittelt bekommen, können wir uns dieser vermittelten Vorstellung nicht erwehren.
Dieser Sachverhalt ist ganz und gar nicht trivial. Die USA und, geografisch näher bei uns, Grossbritanien, haben vor nicht so vielen Jahren einen Eroberungskrieg gegen den Irak durchgeführt, welcher genau auf diesem Bild fusste.
Gleichermassen unterliegt der Iran seit nun dreissig Jahren einem strengen Handelsembargo, welches sehr starke Auswirkungen auf das Land hat.
Beispiel: Geldtransaktionen mit dem Iran sind wegen der Sanktionen nicht möglich. Das heisst z.B. dass ich, als Reisender, keine Geldautomaten verwenden kann und auch keine Geldüberweisung bekommen kann. Ich muss also vor dem Grenzübertritt sehr viel Bargeld (USD oder EUR) organisieren und mit ins Land nehmen. Geht mir das Geld aus, dann muss ich aus dem Iran ausreisen. Iran ist halb so gross wie Europa, d.h. um wieder zu Geld zu kommen muss ich unter Umständen aus dem Süden Irans zurück in die Türkei (zusammen mit Armenien die einzigen für mich visumsfreien Nachbarländer Irans) fahren und aus dem Iran ausreisen. Zurück kann ich dann aber nicht mehr, da ich dafür ein neues Visum benötige. Die Distanz die ich in diesem Fall nur für's Geld Abheben zurücklegen muss entspricht dabei einer Reise von Italien nach Dänemark.
Die Generation der Iraner, welche in der Zeit des Handelsembargos aufgewachsen ist, ist jetzt 30 Jahre alt und steht somit mitten in der Iranischen Gesellschaft und muss nicht nur diese sondern auch viele andere Konsequenzen des Embargos ertragen.
Dieses Embargo ist dem Land von mehrheitlich demokratisch regierten, d.h. vom Volk legitimierten Regierungen verhängt worden.
Die Bevölkerung dieser westlicher Länder, kriegt von den Medien ein extrem verzerrtes Bild vom Iran vermittelt und trägt dann die Entscheidungen ihrer Regierungen mit (legitimiert diese also) oder leistet Wiederstand, im Falle, dass sie mit den Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden ist.
Unsere Massenmedien, unsere Tagesschauen und Tageszeitungen zeigen nie die Normalität. Sie zeigen nie den normalen, alltäglichen Iran. Sie zeigen nicht, dass der Alltag sich darum dreht, dass normale Väter ihre Kinder in die Schule bringen müssen, die Angestellte am Bankschalter dem Kunden die Pension auszahlt und dass es diese Dinge sind, welche den Menschen am nächsten sind und sie ihr Leben so führen können wollen, dass sie keinen Ärger, von welcher Seite auch immer haben. Die Mehrheit der Menschen im Iran ist der offiziellen Kirche oder Lehre ähnlich stark verbunden, wie es der Fall in Europa ist und Islamismus ist für den normalen Menschen kein Thema mit Realitätsbezug.
Das Bild welches wir vermittelt bekommen und welches als Legitimation des politischen Handelns dient hat sehr konkrete Folgen: zum Beispiel frisst die Inflation den Menschen im Iran die Pension auf.
Jemand im Iran hatte mich enthusiastisch darauf angesprochen, dass das Internet es den Menschen ermöglichen würde, dem Rest der Welt näher zu kommen. Ich glaube dies nicht. Zumindest nicht in dem Sinne, dass das Vorhandensein potentiel direkter Kommunikationskanäle und offen erreichbarer Informationen die Menschen dazu führt sich besser zu verstehen.
Das Internet ist voll von Information, welche jeder theoretisch lesen könnte, um mehr Wirkliches über Menschen zu erfahren, welche in einem anderen Kontext leben als man selbst. Die meisten jungen Iraner sind - trotz Verbot - auf Facebook. Iraner sind, gleich wie Schweizer, mit eigenen Seiten, auf Wikipedia, auf Facebook, in sozialen Netzwerken etc. präsent. Aber der direkte Kontakt, die Vermittlung der Lebensrealität findet kaum statt.
Ich glaube, dass Menschen nur einen Bezug zueinander bekommen können, in dem sie etwas miteinander teilen. Am häufigsten teilt man den Alltag miteinander. Aber man kann sich auch ein Projekt, mittels gemeinsamer Zusammenarbeit teilen. In dem Sinne ermöglicht das Internet das Zusammenkommen von verschiedenen Menschen, welche über das Internet gemeinsame Interessen verwirklichen. Im Debian.org Projekt beispielsweise arbeiten Menschen aus verschiedensten Ländern zusammen. Es liegt im Interesse der gemeinsamen Sache, sich um das wohl aller am Projekt arbeitender zu kümmern. Auf diese Art entsteht ein Bezug, vielleicht später direkter Kontakt und vielleicht Austausch zwischen den einzelnen.
Im Westen werden die Medien als fünfte Gewalt im Staat und somit als essentielle Institution für das gute Funktionieren der Gesellschaft verstanden. Die Funktion der Medien soll dabei sein, kritisch und unabhängig zu sein und so ein Gegengewicht zu den anderen Gewalten zu bilden.
Aber objektiv, im dem Sinne, dass die Medien eine ausgewogene, vielseitige und umfassende Sicht auf die Welt liefern würden, sind sie offensichtlich nicht.
Im Moment wird das Schicksal der Ukrainer neu verhandelt. Auch dort vermitteln uns die Medien ein Bild. Unsere Regierungen beziehen in diesem Konflikt basierend auf diesem Bild Positionen.
Tomáš Pospíšek, 2014-03-14